Donnerstag, 10. Dezember 2020

Historische Grounds #06 - Stadion Mittelwiese in Ruhla

Wir befinden uns in der thüringischen Bergstadt Ruhla, ein unscheinbares Städtchen im Thüringer Wald am Rande des Rennsteigs. Doch die Stadt südöstlich von Eisenach bringt einige interessante Geschichten mit sich, so steht hier beispielsweise mit der St. Concordia die einzige Winkelkirche Deutschlands, welche sich noch in ihrem ursprünglichen Bauzustand befindet. Im zweiten Weltkrieg blieb das Ruhlaer Stadtgebiet weitgehend unversehrt, damals verfügte man noch über einen Kopfbahnhof, wo von Ende 1944 bis März 1945 der "Salonwagen von Compiégne" versteckt wurde, in welchem 1918 der Waffenstillstand zwischen dem Deutschen Kaiserreich und dem britisch-franzöisch-russischen Kampfbündnis vereinbart wurde. Im selben Wagen wurde 1940 die Kapitulation Frankreichs gegenüber dem Deutschen Reich unterschrieben, der ehemalige Speisewagen blieb während seiner Zeit in Ruhla unberührt. Im März 1945 wurde der Wagen ins etwa 50 Kilometer entfernte Crawinkel gefahren und dort komplett zerstört. Die Stadtgeschichte Ruhlas wurde durch die Uhreinindustrie geprägt. 1862 meldeten die Gebrüder Thiel ihr erstes Gewerbe in Ruhla an und starteten eine große Erfolgsgeschichte. 1891 lief die erste Ruhlaer Taschenuhr vom Band, welche ein weltweiter Verkaufsschlager wurde und vor allem in den USA großen Anklang fand. Während der beiden Weltkriege stellte man ausschließlich Zeitzünder für die Rüstungsindustrie her, bevor man sich ab 1945 wieder auf die serienmäßige Herstellung von Uhren und damit das eigentliche Kerngeschäft konzentrierte. 1961 brachte man als nunmehr VEB (volkseigener Betrieb) die erste elektrische Armbanduhr der DDR auf den Markt. Erfolgreichstes Modell aus Ruhla war das "Kaliber 24", welches bis 1991 über einhundert Millionen Mal verkauft wurde. Die Uhrenwerke Ruhla waren eine der größten Arbeitgeber im Umkreis und die Mitarbeiter fertigten täglich bis zu 30.000 Stück des erfolgreichen Export-Modells. Nach der Wende wurde das VEB Uhrenwerk Ruhla privatisiert, über die Jahre ging die Uhrenproduktion deutlich zurück und beschränkt sich heutzutage auf ein Minimum. Im Sommer 2019 musste der letzte verbleibende Uhrenhersteller im Stadtgebiet Insolvenz anmelden und wurde von einem internationalen Uhrenhersteller aufgekauft. Zuvor waren bereits ein Großteil der ehemaligen Werks- und Produktionsgebäude abgerissen worden, übrig blieb nur das ehemalige Verwaltungsgebäude, welches heute ein Uhrenmuseum beheimatet. Noch immer bezeichnet man Ruhla als Uhrenstadt, obwohl sich das Stadtbild mittlerweile stark verändert hat, aus der ehemaligen Industriestadt wurde der heute staatlich anerkannte Erholungsort.
Sport spielt in Ruhla keine Hauptrolle, maximal der Wintersport wird hier noch gefördert. Die 5.500 Einwohner Kleinstadt verfügt über eine eigene Skisprungschanze, auf welcher regionale Wettbewerbe ausgetragen werden. Ganz versteckt auf einem Berg oberhalb des Stadtzentrums, am Ende einer Einbahnstraße findet der geneigte Fußballfan aber das "Stadion Mittelwiese", die Heimat des EFC Ruhla 08. Der Verein spielt aktuell seit vielen Jahren in der achtklassigen Kreisoberliga Westthüringen, doch zu DDR Zeiten war das Stadion Mittelwiese tatsächlich Schauplatz von Zweitliga-Spielen. Auf Platz 127 der ewigen Tabelle der DDR-Liga findet man die TSG Ruhla, welcher insgesamt drei Spielzeiten im Unterbau der DDR-Oberliga verbrachte. Obwohl der erste Fußballverein in Ruhla bereits 1906 gegründet wurde, trägt man bis heute die 08 im Vereinsnamen. Erster Stammverein war der "FC Ruhla 06", welcher sich aber bereits vier Jahre später schon wieder aufgelöst hatte und als "FC Wacker Ruhla" neu gegründet wurde. Nach einer Fusion mit der "Jungmannschaft 08 Ruhla" zu "BC Wacker 08 Ruhla" war und ist die Jahreszahl 08 bis heute fest mit dem Fußball in Ruhla verbunden. Nach weiteren Fusionen trat der Verein in den folgenden Jahren unter zahlreichen neuen Namensvarianten an. "Vereinter BC Ruhla 08", "BC Ruhla 08", bevor man sich 1936 nach Vorgabe des NS-Reichbundes in "VfL Ruhla" umbenennen musste. Sportlich war man in der Anfangszeit meist nur in der Kreisklasse unterwegs, verbrachte aber auch einige Spielzeiten in der höherklassigen Meisterschaft des Wartburggau.
Mit Ende des zweiten Weltkrieges wurde auch der "VfL Ruhla" aufgelöst, einen großartigen Spielbetrieb hatte es seit 1942 ohnehin nicht mehr gegeben. Es folgte eine weitere Neugründung, diesmal als "SG Ruhla", aus welcher mit der DDR-Gründung im Jahr 1949 die "ZSG Ruhla" wurde. Der Verein erlebte nun den fast schon typischen Wandel eines DDR-Vereins. 1952 wurde man zur "BSG Motor Nord Ruhla" und stieg 1955 erstmals in die drittklassige Bezirksliga auf, welche aber nur drei Spielzeiten gehalten werden konnte. Die sportlich erfolgreichste Fußballzeit in Ruhla begann dann 1965, als die beiden Betriebssportmannschaften "Motor Nord Ruhla" und der Stadtrivale und Namensvetter "Motor Süd Ruhla" zur "TSG Ruhla" fusionierten. Gleichzeitig stieg auch der bereits erwähnte “VEB Uhren- und Maschinenenkombinat Ruhla” als Trägerbetrieb in das Vereinsleben ein und sorgte damit für erheblich verbesserte Rahmenbedingungen. Ein echtes Highlight der Ruhlaer Fußballgeschichte gab es am 17. August 1966, als die DDR Nationalmannschaft ein Testspiel gegen die TSG Ruhla bestritt. Die TSG gehörte damals noch der Kreisklasse an und verstärkte ihr Team für das große Spiel mit einigen Leihspielern von "Motor Gotha" aus der Bezirksklasse. 6000 Zuschauer sahen eine 0:3 Niederlage der Ruhlaer Elf, das Spiel wurde damals auf dem Sandplatz im kleinen Stadtteil Thal ausgetragen. Die DDR-Elf sah dies als Testlauf für eventuell zukünftige Spiele auf selbigen Untergrund, zu welchen es aber nie kam. Der eigentliche Heimplatz der Ruhlaer Fußballmannschaften war seit 1928 der "Sportplatz Mittelwiese", welcher nach dem Einstieg der Uhrenwerke zum "Stadion Mittelwiese" ausgebaut wurde. Das ausgebaute Stadion wurde am 7. Oktober 1969 als "Stadion der Fahrzeugelektriker" eröffnet und erneut gelang es den Betriebsoberen die Nationalmannschaft in die Uhrenstadt zu locken. 8000 Zuschauer verfolgten das Testspiel zwischen der DDR Elf und Vasas Budapest live vor Ort.
Die TSG machte ab Anfang der 1970er Jahre wieder sportlich auf sich aufmerksam und kehrte zur Saison 1972/73 nach 15 Jahren Pause wieder in die drittklassige Bezirksliga Erfurt zurück. Bereits ein Jahr später beendete man die Liga als Meister und schaffte den Aufstieg in die zweitklassige DDR Liga. Der Unterbau der DDR-Oberliga war damals in fünf Staffeln à 12 Teams aufgeteilt. Für die TSG Ruhla erwies sich der schnelle Durchmarsch in die Zweitklassigkeit aber zunächst als eine Nummer zu groß. Das Team war überfordert mit den Mannschaften aus der Tabellenspitze, wie Wismut Gera und Motor Suhl. Am Ende der Premierensaison standen gerade mal drei Siege bei fünf unentschieden und vierzehn Niederlagen zu Buche, das bedeutete den letzten Tabellenplatz und die sofortige Rückkehr in die Bezirksliga. In der ersten Ruhlaer DDR-Liga Saison war das Zuschaueraufkommen im Stadion Mittelwiese am höchsten. Zum allerersten Heimspiel am 2. Spieltag gegen Wismut Gera kamen immerhin 1.900 Fans ins Stadion, ein Zuschauerrekord für Ligaspiele der TSG welcher bis heute nicht überboten werden konnte.
In der folgenden Spielzeit war man erstmals im FDGB-Pokal, dem nationalen Pokalwettbewerb der DDR startberechtigt und schaffte immerhin den Einzug in die Zwischenrunde, nachdem man in der 1. Hauptrunde mit 1:0 gegen die BSG Stahl Blankenburg gewonnen hatte. Das Spiel in der Zwischenrunde verlor Ruhla dann deutlich mit 1:4 gegen Motor Suhl. Der Beginn einer sportlichen Talfahrt, denn schon am Ende der Saison 1976/77 stieg man als Tabellenletzter auch aus der Bezirksliga ab. Ein Missgeschick welches schnell wieder behoben werden konnte, denn schon nach einem Jahr kehrte man in die Liga zurück und setzte sich von nun an jede Saison in der oberen Tabellenhälfte fest, welches am Ende der Spielzeit 1981/82 in den Meistertitel und die Rückkehr in die DDR-Liga mündete. Hier schaffte man in der drauf folgenden Spielzeit nicht nur den Klassenerhalt, sondern setzte auch die ein oder andere Duftmarke auf dem Spielfeld. Am 3. Spieltag bezwang man zu Hause vor 1.250 Zuschauern den späteren Meister Wismut Gera mit 3:2, der 0:6 Auswärtserfolg am 20. Spieltag gegen Motor Steinach ist der höchste Sieg der Ruhlaer-Zeit in der DDR-Liga. Der achte Platz reichte man Ende souverän zum Klassenerhalt und für eine weitere Spielzeit in der zweithöchsten Liga. Diese sollte aber am Ende der Saison 1983/84 von fünf auf zwei Staffeln verringert werden, das hieß für die TSG Ruhla, nur einer der ersten sechs Tabellenplätze würde für einen Ligaverbleib reichen. Obwohl man am 21. Spieltag den späteren Meister und Oberliga-Aufsteiger Motor Suhl auswärts mit 0:4 besiegte, scheiterte das Vorhaben Klassenerhalt deutlich und mit Tabellenplatz zehn ging es wiederum zurück in die Bezirksliga.
Motor Suhl begegnete Ruhla aber auch in der drauf folgenden Saison noch einmal. Suhl reiste als nunmehr Erstligist ins Stadion Mittelwiese und traf in der ersten Runde des FDGB-Pokal auf Bezirksligist TSG Ruhla und erneut gewannen die Spieler aus der Uhrenstadt. 2:1 stand am Ende der Verlängerung auf dem Notizzettel des Schiedsrichters und Suhl hatte seinen Angstgegner gefunden. Dieser Sieg der Mannschaft aus Ruhla ist fast schon ein kleiner Meilenstein, es war erst das dritte mal in der DDR-Pokalgeschichte, dass ein Drittligist, ein Team aus der Oberliga aus dem Wettbewerb werfen konnte. Das gleiche Kunststück sollte bis zum Ende des DDR-Fußballs nur noch zwei weiteren Mannschaften gelingen. Das Spiel der zweiten Pokal-Hauptrunde verlor Ruhla dann mit 0:1 gegen einen weiteren Oberligisten und ehemaligen DDR Meister FC Vorwärts Frankfurt Oder. Die Niederlage gegen Frankfurt war bis heute auch das letzte große Fußballspiel im Stadtgebiet Ruhla. Die TSG spielte bis zur Wende wieder in der Bezirksliga. Im wiedervereinten Deutschland spaltete sich die Fußballabteilung von der TSG ab und tritt seit dem 19.12.1990 unter dem Namen "EFC Ruhla 08" an. Seither spielt man ausschließlich in regionalen Gefilden und höherklassigen Fußball wird es in Ruhla wohl auf Dauer nicht mehr zu sehen geben. Der neue Vereinsname EFC bedeutet "Erbstromtaler Fußballclub", Namensgeber ist das kleine 13,5 Kilometer lange Flüsschen mit dem barbarischen Namen Erbstrom, welches in Ruhla seine Quelle hat.
Betritt man das Stadion Mittelwiese heute empfindet man noch das Flair der alten Tage, auf der Anlage scheint die Zeit irgendwann stehen geblieben zu sein. Empfangen wird man von einem eisernen Torbogen, auf welchem die Aufschrift "Stadion EFC Ruhla"prangt. Blickfang des Rundes ist die langgezogene ausgebaute Kurve hinter einer Torseite. Der Schriftzug "Ruhla grüsst seine Gäste" versehen mit dem aktuellen Vereinslogo auf einer leicht bröckeligen Mauer bringen einen genauso unverwechselbaren Flair wie die einzigartige Haupttribüne. Drei Reihen scheinbar endlos aneinandergereihter Parkbänke sollten ein echtes Novum in der deutschen und vielleicht sogar weltweiten Stadionwelt darstellen. Die offizielle Zuschauerkapazität liegt heute bei 5.000. Im Stadion Mittelwiese ist zwar alles leicht in die Jahre gekommen, die Anlage befindet sich trotzdem auch noch heute in einem bemerkenswert guten Zustand. Schon seit der Eröffnung als Sportplatz im Jahr 1928 befindet sich ein Gedenkstein zu Ehren der Opfer des ersten Weltkrieges im Stadion, dieser Findling hat sämtliche Umbaumaßnahmen überstanden und steht noch heute auf der Anlage. Zwar sind einige Teile der Sportanlage mittlerweile stark mit Gras bewachsen und der Torbogen am Eingang mit Rostflecken übersät, trotzdem ist ein Besuch in der Uhrenstadt empfehlenswert und das Stadion Mittelwiese sollte von jedem interessierten Groundhopper abgehakt werden.
An dieser Stelle noch ein Dankeschön an Lars Harnisch für die Bereitstellung einiger Quellen zur Ruhlaer Fußballgeschichte. Er führt auf Twitter das interessante Projekt @FussballDdr und veröffentlicht dort täglich bemerkenswerte Anekdoten aus der DDR-Fußballgeschichte. Ich besuchte Ruhla im Rahmen meines 2020er Roadtrips und fertigte am 16. August 2020 die folgenden Fotos der Anlage an.

Ein eiserner Torbogen empfängt die Gäste im
Stadion Mittelwiese
Aufschrift "Stadion EFC Ruhla"
Blickfang des Stadions die langgezogene  Kurve...
... mit der Aufschrift "Ruhla grüsst seine Gäste"
Voran steht das aktuelle Vereinslogo
Oberhalb des Schriftzuges wäre Platz für Zuschauer
Gebraucht wird dieser Platz kaum noch
Der obere Teil der Kurve ist mittlerweile zugewachsen
Ein letzter Blick in die Kurve
Ein Blick auf die "Haupttribüne"
Eine scheinbar endlose Reihe von Parkbänken
Eine solche Art von Tribüne sollte ein Novum darstellen
Im Stadion befindet sich ein Gedenkstein der an die
gefallenen Sportler des ersten Weltkrieg erinnert
Einen Hinweis auf den eigentlichen Namen
"Stadion Mittelwiese" sucht man auf dem Terrain vergebens
Die Tornetze werden in Ruhla seit der Wende nur noch
für regionale Spiele gespannt
Gesamtansicht des Stadion Mittelwiese

Dies war der sechste Teil unserer Serie über historische Fußballstadien, zuvor blickten wie bereits auf das mittlerweile abgerissene Stadion am Hermann-Löns-Weg in Solingen, das Röntgen Stadion in Remscheid, auf das Jahnstadion in Mönchengladbach, die Westkampfbahn in Düren und das Grotenburg-Stadion in Krefeld. Folgt mir bestenfalls auf Twitter und erfahrt dort sofort wenn ein neues Feature erscheint.

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